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Bistum Fulda

Fastenhirtenbrief 2015

Auf der Seite des Lebens –

für eine Kultur des Geschehenlassens

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Die heutige erste Lesung aus dem Buch Genesis handelt von Gottes Liebe zum Leben. Der Herr nimmt alle Lebenskraft der Schöpfung mit hinein in seinen Bund mit Noach. Er macht sich zum Bündnispartner des Lebens schlechthin. Kein Leben ist ihm gleichgültig. Uns Christen veranlasst das zu besonderer Behutsamkeit, wenn wir über Leben und Tod entscheiden müssen. Und gerade eine solche Entscheidung liegt in den kommenden Monaten vor uns.

Fastenhirtenbrief 2015

Fastenhirtenbrief - Audiodatei


 
 

In den letzten Jahren nahm die Aktivität von Vereinen und Einzelpersonen zu, den Sterbewilligen Hilfsdienste beim Suizid anzubieten. Sie besorgen tödliche Substanzen, geben Hinweise zur Einnahme und bleiben gelegentlich auch bei der Selbsttötung zugegen. Manche stellen dafür Rechnungen wie für jede andere Dienstleistung, andere legen Wert darauf, ehrenamtlich zu handeln. Ob sie gegen das Recht verstoßen, war bislang nicht klar. Diese Unklarheit will der Deutsche Bundestag im Herbst mit einem Gesetz beseitigen.

Im Moment gibt es ganz unterschiedliche Gesetzentwürfe. Sie reichen von sehr sparsamen Klarstellungen im Zivilrecht, die einer weitgehenden Erlaubnis der Suizidhilfe gleichkämen, bis zum Vorschlag, jede geschäftsmäßige Suizidassistenz strafrechtlich zu verfolgen. Damit machte sich nicht nur strafbar, wer mit Suizidhilfe Geld verdient, sondern auch derjenige, der ohne eindeutiges finanzielles Interesse bei Selbsttötungen hilft, so auch Ärzte.


In Parlament und Öffentlichkeit wird die Debatte bislang mit großem Ernst geführt. Und mit Respekt vor der Meinung anderer. Auf diese hohe Diskussionskultur können wir stolz sein. In zwei wichtigen Punkten zeichnet sich schon jetzt ein guter Konsens ab:


• Alle Gesetzentwürfe enthalten ein klares Bekenntnis zu Palliativmedizin und Hospizarbeit. Das lässt uns hoffen, dass das Angebot guter medizinischer Begleitung von Sterbenden bald wirklich flächendeckend ausgebaut wird. Denn die Medizin kann heute einem Sterbenden alle Schmerzen nehmen, ohne ihn zu töten.

• Die sog. »aktive Sterbehilfe«, die wir besser Tötung auf Verlangen nennen sollten, ist weithin ein Tabu in den Entwürfen. Das ist gut so.


Wenn ich mich mit diesem Hirtenbrief trotzdem kritisch in die Debatte einbringe, so hat das auch zwei Gründe:


• Einerseits scheint mir die Würde des Sterbenden noch immer nicht klar genug herausgestellt zu werden.
• Andererseits glaube ich, die Diskussion braucht mehr Weite. Ob Menschen bei nachlassenden Kräften den Wunsch haben, sich das Leben zu nehmen oder nicht, hängt wesentlich davon ab, ob sie überhaupt ein Verhältnis dazu gefunden haben, dass wir endliche und zerbrechliche Wesen sind. Eine Gesellschaft, die nur auf Aktivität und Leistung setzt, wird unmenschlich. Es bedarf einer neuen Kultur des Geschehenlassens.

Um diese beiden Aspekte soll es im Folgenden gehen.


Zunächst zur Würde des Sterbenden:
Was ist Würde? Unser Grundgesetz spricht zwar von der »Würde des Menschen« (Art. 1, Abs. 1 GG), sagt aber nicht, was es darunter versteht. Viele von uns füllen daher den Begriff je nach Situation anders. Und tatsächlich bedeutet es Grundverschiedenes, wenn man zum Beispiel von einem »würdevollen Requiem«, einer »Würde des Amtes« oder der »Menschenwürde« spricht. Diese Begriffsunschärfe ist problematisch. Ich glaube, wir kommen nicht umhin, klar zur Sprache zu bringen, was wir unter Würde verstehen wollen. In Übereinstimmung mit einer großen abendländischen Tradition sage ich daher:
Würde zu besitzen heißt, man darf niemals zu einem »Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt« (Dürig 1956, 127) werden.


Als Arbeitnehmer oder Konsumenten sind wir durch andere vertretbar. Wir sind aber grundsätzlich mehr als nur Arbeitnehmer oder nur Konsumenten. Erst recht sind wir mehr als nur Patienten, die durch ihre Krankheit definiert sind. Deshalb liegt ein Verstoß gegen die Würde vor, wenn man vom »Hautkrebs auf Zimmer 12« spricht und den Mitmenschen meint, der an dieser Krankheit leidet. Aber es liegt kein Verstoß gegen die Menschenwürde vor, wenn man etwa auf der Intensivstation ein Flügelhemd tragen muss. Würde ist kein anderes Wort für gepflegtes Äußeres oder Schönheit. Auch Leid und Traurigkeit sind als solche noch kein Anschlag auf unsere Würde. Nur wo wir nicht als wir selbst behandelt werden, sondern wie eine Sache, eine Funktion oder ein Krankheitsbild, steht unsere Würde auf dem Spiel.


Meine Würde verpflichtet mich freilich auch zu einem entsprechenden Umgang mit mir selbst. Ich bin mehr, als auch ich von mir sehe; zumal dann, wenn ich in mir nur Lebensüberdruss und Angst wahrnehme. Wer sich aus Krankheit, Lebensüberdruss und Angst das Leben nimmt, engt sich ein auf die Verzweiflung, die er spürt. Und wer ihm hilft sich umzubringen, folgt dessen verzweifelter Selbstwahrnehmung, statt ihm eine Öffnung der verengten Perspektive zu ermöglichen.


Es kränkt die Menschenwürde massiv, wenn auf eine tödliche Verzweiflung mit der Tötung des Verzweifelten reagiert wird. Das gilt auch für die Selbsttötung, ob assistiert oder ohne fremde Hilfe vollzogen.


Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich sage das nicht, um Suizidenten zu verurteilen. Sie seien unserem liebenden Gott anempfohlen, der heilen kann, was in ihrem Leben zerbrochen wurde – von anderen oder ihnen selbst (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2283).
Es geht mir auch nicht darum, den Suizid oder seinen Versuch unter Strafe zu stellen. Das Strafrecht wird keinen Verzweifelten zur Achtung der eigenen Würde bringen. Dass unser Gesetz Suizide nicht ahndet, heißt aber nicht, dass uns Selbsttötungen egal sein dürften. Wäre dem so, befänden wir uns bereits im kalten Reich der Gleichgültigkeit und Indifferenz. Eine Gesellschaft, die achselzuckend auf das Selbstbestimmungsrecht verweist, wenn sich jemand umbringt, ist nicht frei. Sie ist zynisch. Wir brauchen dagegen Signale, die uns vergewissern: Wir als Gesellschaft stehen auf der Seite des Lebens. Das umfassende Verbot jeder Suizidförderung wäre ein solches Signal.


So fordere ich im Namen der Menschenwürde und der Lebensfreundlichkeit vom Gesetzgeber eine klare Absage an jede Suizidunterstützung. Es darf keinerlei Zweifel an ihrer Rechtswidrigkeit geben. Die bisher vorgelegten Gruppenanträge und Gesetzentwürfe sind in diesem Punkt nicht klar genug und problematisch.


Suizidwunsch und Suizidhilfe sind indes keine Themen, die sich aus heiterem Himmel ergeben. Sie erwuchsen aus dem Gesamtzusammenhang unseres Selbstbildes und Freiheitsverständnisses, unserer Träume und Ängste. Darauf will ich kurz eingehen.


Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
Wir können niemals ganz verhindern, dass Alter und Krankheit unsere Schaffenskraft beeinträchtigen und unsere Freiheitsräume verengen. Und ist es nicht naheliegend, dass jemand, der sich ein Leben lang über seine Aktivitäten definiert hat, lieber den schnellen Tod sucht, als dabei zuzuschauen, wie Krankheit und Alter nach und nach seine Tatkraft stilllegen?


Die Wahrheit aber ist: Niemand verliert seine Würde, weil er mit 80 Jahren nicht mehr das vermag, was ihm mit 40 noch leicht fiel. Es ist vielmehr so, dass uns unsere Würde verbietet, uns mit dem gleichzusetzen, was wir können und leisten. Auch hier gilt: Wir sind stets mehr als wir sehen – und erst recht als wir tun. Ich glaube daher, es ist höchste Zeit, dass wir den einseitigen Kult des tätigen Lebens aufgeben.


• Wenn es uns nicht gelingt, aus dem verengten Selbstbild der stets Aktiven, Mobilen und Unabhängigen auszubrechen,
• wenn wir dem Geschehenlassen und der Bedürftigkeit nicht den Platz geben, der ihnen gebührt,
• wenn wir keinen Weg finden, mit naturnotwendigen Freiheitsverlusten gelassen umzugehen,

wird der Wunsch, dem Kontrollverlust bei schwerer Krankheit, beim Altern und Sterben durch Selbsttötung zu entkommen, kein Einzelphänomen bleiben.


Der evangelische Theologe Eberhard Jüngel schreibt: »Es gibt eine Passivität, ohne die der Mensch nicht menschlich wäre. Dazu gehört, dass man geboren wird. Dazu gehört, dass man geliebt wird. Dazu gehört, dass man stirbt« (Jüngel 1985, 116).
Wagen wir in diesem Sinn eine neue Kultur des Geschehenlassens!


Eine solche verlangt aber nicht nur den ehrlicheren Blick auf uns selbst in unserer Bedürftigkeit. Sie erfordert auch strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft. Es bleibt zwar richtig und wichtig, dass wir auf die Aktivierung alter Menschen setzen und sie unterstützen in ihrer Selbständigkeit. Darüber hinaus müssen wir aber auch Strukturen schaffen, die es erlauben, die eigene Hinfälligkeit zu bejahen. Vielleicht haben wir dafür bisher nicht genug getan. Pflegeheime und Pflegestationen beispielsweise dürfen uns nicht wie Auffanglager erscheinen. Sie müssen »Heiligtümer der Humanität« sein, wie Papst Franziskus sagt; Orte ganzen und guten Menschseins; Orte, an denen noch Entscheidendes passieren kann. Das haben gerade auch wir Seelsorger wahrzunehmen und zu unterstützen.
Zugegeben: Gute Pflege ist teuer. Aber wenn wir an ihr sparen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Kultur des Todes weiter um sich greift.


Liebe Schwestern und Brüder in Glauben! Im heutigen Evangelium hörten wir, dass Jesus das nahe Reich Gottes verkündigt (vgl. Mk 1,15). Dieses Reich Gottes bedeutet das gute Ende aller Wirklichkeit. Von diesem Ende her leben wir Christen. Wir glauben, wir werden nicht verenden, nur weil unsere Kraft zur Selbstbestimmung endet. Wir glauben, wir müssen nicht alles selbst vollbringen, was uns ausmacht. Wir glauben, das letzte Wort über uns sprechen nicht wir. Es spricht die Liebe Gottes.


Wer, wenn nicht wir, sollte die Letztverfügung des Menschen über sich selbst eindeutig zurückweisen und sich klar auf die Seite des Lebens stellen? Wer, wenn nicht wir, sollte den ganzen Menschen bejahen, auch seine Begrenztheit?

Weil das Leben ein Geschenk Gottes ist, hat kein Mensch das Recht, über seinen eigenen Tod zu verfügen. Das geschenkte Leben bis zu seinem Ende zu leben und auch das Sterben, ist Ausdruck der wahren Selbstbestimmung des Menschen. Lassen Sie uns unter allen Umständen dafür eintreten. Und für eine neue Kultur des Geschehenlassens. Als Zeugen des Reiches Gottes und zum Wohl der Menschen.


Dazu segne Sie auf die Fürsprache des heiligen Bonifatius der Gott des Lebens:

der + Vater und der + Sohn und der + Heilige Geist.


Ihr

Heinz Josef Algermissen
Bischof von Fulda

Fulda, Aschermittwoch 2015

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