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Bistum Fulda
Schlussandacht der Herbstvollversammlung in Fulda
 

Schlussvesper der Herbst-Vollversammlung in Fulda

Predigt von Erzbischof Dr. Heiner Koch (Berlin) in der Schlussvesper am 27. September 2018 in Fulda zur Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz

Im Wortlaut!

Am 11. November 1918, also vor 100 Jahren, endete der grausame Erste Weltkrieg. Nie zuvor standen sich Armeen in solcher Größe und mit solchem Gewaltpotential gegenüber. Neun Millionen Soldaten und sechs Millionen Zivilisten fanden ihren gewaltsamen Tod. Für die Toten ging das Leben zu Ende, für die Überlebenden starb der Fortschrittsglaube, der die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg beflügelt hatte. Die naturwissenschaftlichen Fortschritte, die Friedensinitiativen und die philosophischen Gedankengebäude versprachen eine friedvollere und menschlichere Zukunft. Immer deutlicher aber wurde, dass die Menschen und die Machthaber im Ersten Weltkrieg die Mitte und das Maß ihres Denkens und Handelns verloren hatten. 


Vielleicht war dieser Verlust auch der Grund, warum so wenig aus diesem Krieg gelernt wurde und warum aus der Brutalität dieser Zeit schließlich sogar der Zweite Weltkrieg wachsen konnte. Man wollte weder die Ursachen für den Ersten Weltkrieg ehrlich analysieren noch die eigene Schuld bekennen und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Viel zu viele Menschen waren nicht lernbereit.

Video/Bilder: Webdesign Naumburg

 

Am 11. November 1918, also vor 100 Jahren, endete der grausame Erste Weltkrieg. Nie zuvor standen sich Armeen in solcher Größe und mit solchem Gewaltpotential gegenüber. Neun Millionen Soldaten und sechs Millionen Zivilisten fanden ihren gewaltsamen Tod. Für die Toten ging das Leben zu Ende, für die Überlebenden starb der Fortschrittsglaube, der die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg beflügelt hatte. Die naturwissenschaftlichen Fortschritte, die Friedensinitiativen und die philosophischen Gedankengebäude versprachen eine friedvollere und menschlichere Zukunft. Immer deutlicher aber wurde, dass die Menschen und die Machthaber im Ersten Weltkrieg die Mitte und das Maß ihres Denkens und Handelns verloren hatten. Vielleicht war dieser Verlust auch der Grund, warum so wenig aus diesem Krieg gelernt wurde und warum aus der Brutalität dieser Zeit schließlich sogar der Zweite Weltkrieg wachsen konnte. Man wollte weder die Ursachen für den Ersten Weltkrieg ehrlich analysieren noch die eigene Schuld bekennen und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen. Viel zu viele Menschen waren nicht lernbereit.


Lernbereit zu sein bedeutet, sich bewusst und zielorientiert zu verändern, sein Leben und das Leben seiner Gesellschaft in die Weite zu führen. Wer zu lernen bereit ist, weiß, dass weder der einzelne Mensch noch die Gesellschaft noch die Welt oder die Kirche perfekt waren, sind oder sein werden. Er weiß, dass er der Veränderung bedarf, dass er lernen muss, sich selbst infrage zu stellen und die eigene Trägheit und Lernfaulheit zu überwinden.


Lernen braucht viel Kraft und Geduld. Das gilt schon für das Erlernen einer Sprache. Ein alter deutscher Pater, der den größten Teil seines Lebens als Jesuit in Japan lebte, antwortete mir auf meine Frage, wie lange er gebraucht habe, bis er wirklich Japanisch differenziert und einfühlsam sprechen konnte:


„Die ersten 50 Jahre waren schon ziemlich schwierig.“ Wieviel schwieriger gestalten sich dann erst recht Lernprozesse, wenn es um tiefgehende Veränderungen der Haltungen und des Verhaltens geht, die bisher unsere Persönlichkeit geprägt haben.


Solches Lernen ist anstrengend und mühsam, aber es ist lebensnotwendig, wenn der Mensch und die Gesellschaft nicht zu einem starren, doktrinären und mitten im Leben toten System verkrusten wollen. In unserer hoch technisierten und digitalisierten Welt mit ihren enormen Technik- und Kommunikationssystemen ist den meisten Menschen klar, dass sie sich auf beruflichem Feld nicht auf den Lorbeeren ihrer Ausbildung ausruhen können und ihre stetige Weiterbildung angehen müssen. Aber die gegenwärtigen Verhärtungen in unserer Gesellschaft zeigen genauso wie die simplifizierenden Pauschalisierungen und wuterfüllten Empörungen des Populismus unserer Tage, dass wir vergessen haben, uns als Lernende zu verstehen in vielen Bereichen unseres Denkens, Wahrnehmens, Fühlens und Wertens. Wer nicht lernbereit ist, wer nicht die Grenzen seines Wissens, Fühlens und Handelns in aller Bescheidenheit anzuerkennen weiß, wer sich und seine Überzeugung für absolut hält und nicht als veränderungsnotwendig wahrnimmt, der ist mitten im Leben tot. Und eine Gesellschaft, die nicht lernfähig ist, ist erstarrt und erfroren.


Wer nicht lernt, der verhärtet sich auch in seinem Glauben. Auch der Glaube kann erstarren. Als Christen sind wir immer lernend unterwegs auf der Suche nach Gott. Wir fragen nach Gott und entdecken Christus und seine Botschaft immer wieder neu im Leben. Der Glaube wächst in unserer Geschichte mit den Erfahrungen unseres Lebens. Wir haben die Wahrheit und wir haben Gott nie im Griff, sondern lernen sie und ihn immer anders und immer tiefer zu verstehen. Vielleicht ist das heute der destruktiv wirkende Gegensatz, der unsere Gesellschaft prägt: Die einen sind überzeugt von einer zeitlosen Wahrheit und die anderen von einer wahrheitslosen Zeit. Unsere Wahrheitserkenntnis ist immer relativ zu unserer Geschichte, zu den Kontexten unseres Lebens, zu der Gemeinschaft und zu der Gesellschaft, in der wir leben und die uns positiv wie auch negativ prägen. Es bleibt eine ständige Aufgabe gerade auch in der Gottesfrage, die eigene Kontingenz, Relativität und Angewiesenheit sowie Verwiesenheit zu erkennen und anzuerkennen, ohne in einen Relativismus der Wahrheit abzusinken. Für uns Christen ist diese Erkenntnis besonders bedeutsam, weil für uns die Wahrheit kein System von Aussagen und Erkenntnissen ist, sondern eine Person: Jesus Christus. Er ist die Wahrheit auf dem Weg, der zum Leben führt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Nur über die Beziehung zu ihm, nur ihm nachfolgend werden wir die Wahrheit finden. Deshalb hat Jesus die Menschen zu sich gerufen und sie aufgefordert: „Lernt von mir“ (Mt 11,29). Mit und von ihm lernen auf dem Weg, das heißt für uns Christen glauben. Die, die mit ihm gehen und von ihm lernen, nannte er Jünger. Das deutsche Wort Jünger hat dieselbe sprachliche Wurzel wie das mittelhochdeutsche Wort „Jünger“, was Lehrling bedeutet. Jünger Jesu Christi sind und bleiben Lehrlinge im Leben und im Glauben.


Das gilt auch für die Kirche als Ganze, für die Gemeinschaft der Glaubenden mit ihren Beziehungen und Abgrenzungen und für die Kirche als Institution und als System. Es bleibt für uns immer eine Gefahr und eine Lernherausforderung, Wandelbares mit Unwandelbarem zu vertauschen und nicht wahrzunehmen, wie Machtbesessenheit und Geltungsdrang oben und unten, rechts und links und in der Mitte die Kirche beherrschen können. Gerade als Kirche müssen wir immer wieder neu lernen zu lernen.


Dabei wächst Wahrheitserkenntnis in solch einem Lernprozess auch durch Menschen, die nicht zu unserem vertrauten Kreis gehören, in dem wir gewöhnlich verkehren, der uns oftmals in unseren Überzeugungen und Ansichten nur stärkt und bestätigt. Rückzug auf den Kreis der uns Vertrauten, die uns nicht infrage stellen, ist ein Grundzug unserer Gesellschaft, wie ich es auch in Berlin immer wieder erlebe. Viele Gruppierungen, Parteien und weltanschauliche Gemeinschaften, kulturelle und wirtschaftliche Vereinigungen stehen meistens unverbunden nebeneinander. Ihre Mitglieder bekräftigen sich in ihrer Überzeugung, hier herrscht der gleiche Sprachstil, die gleiche Wahrnehmung und die gleichen Handlungsprioritäten. Wie bereichernd und belebend ist dann, wenn Menschen aus unterschiedlichen Denktürmen in ein lernbereites, füreinander und für neue Überlegungen und Horizonte offenes Gespräch eintreten. So könnten alle von und miteinander lernen.


Auch als Kirche müssen wir lernen, unsere Grenzen zu uns eher fremden Menschen und Gruppierungen zu überschreiten, um der Menschen, der Gesellschaft, aber auch um unserer eigenen Lernfortschritte wegen. Wie viele Impulse hat die Kirche in ihrer Geschichte von Menschen und von Gruppen erfahren, die nicht zu ihr gehörten. Die mittelalterliche Theologie unter ihrem arabischen Einfluss ist da nur ein Beispiel.


Die gerade durch die Studie zur Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch Kleriker ausgelöste Welle der Empörung in unserer Gesellschaft ist für uns auch eine große Herausforderung zu lernen. Wie verhalten wir uns gegenüber den Opfern? Wo haben wir ihnen nicht die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung gegeben? Wo haben wir ihr Leiden falsch eingeschätzt? Was müssen wir diesbezüglich ändern? Wie gehen wir mit den Tätern um? Welche kirchlichen Strukturen müssen wir infrage stellen, verändern und weiterentwickeln? Wie können wir verhindern, dass Menschen einen kirchlichen Beruf übernehmen und dort einen eher geachteten Rahmen finden, um ihre gefährlichen Neigungen auszuleben? Wie können wir konsequent sein und zugleich vergeben? Was bedeutet uns die Tatsache, dass Jesus gerade bei den Verbrechern und Sündern eingekehrt ist und seine Mahnung, dass nur der Steine werfen dürfe, der ohne Schuld ist? Wie können wir das alles zusammenbringen mit unserer Solidarität mit den Opfern und unserer Verantwortung für sie? Wie können wir unserer leidenschaftlichen Sorge um den Kinderschutz nachkommen, wohlwissend, dass wir keine Garantie weder für die Kleriker noch für andere Haupt- und Ehrenamtliche im kirchlichen Dienst geben können? Was bedeutet das für unsere Spiritualität, für die Aus- und Weiterbildung, für die Gestaltung unserer Beziehungen und für unser Leben in Gemeinschaft? Fragen über Fragen, Lernherausforderungen über Lernherausforderungen, denen wir uns mit den Opfern und auch mit den gesellschaftlichen Gruppen stellen sollten, die ebenfalls von solchen Missbrauchsverbrechen in ihren Reihen betroffen sind.


Der hl. Bonifatius, an dessen Grab wir heute stehen, hat in seinem Leben immer wieder lernen müssen: Es waren für ihn neue Lernerfahrungen, dass bei den ersten Missionstätigkeiten die Spannungen zwischen den christlichen Franken und den heidnischen Friesen so groß waren, dass seine christliche Mission keinen Raum finden konnte. Es war für ihn eine Lernerfahrung, als er anfangen musste, mit den fränkischen Herrschern und ihrem Selbstbewusstsein und ihrem politisch cleveren Agieren gegenüber dem Papst klarzukommen. Und er musste lernen, dass er seine persönlichen Ziele nicht erreichen und durchsetzen konnte. Hoffentlich ist es uns gerade in unserer Zeit ein Ansporn, dass wir auf einen so – aus Schmerzen, Enttäuschungen und Leiderfahrungen heraus – lernbereiten Apostel Deutschlands als unseren Patron schauen dürfen. Wer sich auf die Wirklichkeit einlässt und sie annimmt, sei sie auch noch so beschämend, erfolglos, armselig oder grausam, verkündet Christus, der Mensch geworden ist in der Wirklichkeit seiner Zeit. Seien wir demütig wie Christus selbst, der sich in den Herausforderungen seines irdischen Lebens – zuletzt in der Herausforderung des Kreuzes – stets an seinen Gott und Vater gewandt hat. Lernen und vertrauen wir wie der hl. Bonifatius, der gesagt hat, was uns auch in dieser Stunde orientieren kann: „Wer die finsteren Winkel der Völker Germaniens durchziehen muss, würde in die Schlinge des Todes fallen, wenn er nicht als Leuchte für die Füße und als Licht auf seinen Wegen das Wort Gottes hätte.“



Text/Quelle: DBK

27.09.2018


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