Sehr geehrte Damen und Herren,
in der vergangenen Woche hat die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Fulda ihren Abschlussbericht vorgestellt. Wie angekündigt, habe ich diesen Bericht seither intensiv gelesen und analysiert. Heute möchte ich erste Einordnungen und Perspektiven mit Ihnen teilen.
Was der Bericht dokumentiert, wirkt nach und wühlt auf. Er zeigt das Leid von Betroffenen – und er zeigt, wie Vertreter der Kirche in vielen Fällen nicht angemessen damit umgegangen sind. Das erschüttert mich zutiefst. Es bestätigt vieles von dem, was wir geahnt haben – und was wir aufgrund der Erfahrungen aus anderen Bistümern auch für Fulda annehmen mussten.
Die dokumentierten Taten und der institutionelle Umgang damit machen deutlich: Es handelt sich nicht um bedauerliche Einzelfälle, sondern um ein systemisches Versagen (vgl. S. 41, 200f.). Das betrifft nicht nur die Täter, sondern auch Strukturen, die Missbrauch ermöglicht, begünstigt oder nicht verhindert haben. Der Bericht benennt das klar – und wir müssen uns dem stellen.
Ich hatte in der vergangenen Woche bei der Übergabe des Berichts der Unabhängigen Kommission die Betroffenen im Bistum Fulda um Entschuldigung gebeten. Wohl wissend, dass es nicht genügt, um Entschuldigung zu bitten. Und wohl wissend, dass Vertrauen nur langsam wieder aufgebaut werden kann. Wir werden an unserem Handeln in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren gemessen. Und das ist auch richtig so.
Nach Lektüre des Berichts kann der Dank an die Betroffenen für deren Kraft und Mut, sich zu äußern, nicht groß genug sein. Das in der Studie geschilderte Verhalten von Klerikern erfüllt mich mit tiefer Scham (vgl. S. 58–63, 109ff.). Zugleich bewegt mich, in wie vielen Fällen durch diese Taten ein lebenslanges Leiden ausgelöst wurde. Mit einigen Betroffenen durfte ich in den vergangenen Jahren persönliche Gespräche führen, für die ich sehr dankbar bin. Besonders eindrücklich ist für mich, wie viele Betroffene sich zugleich darum bemühen, anderen Betroffenen beizustehen. Diese Haltung verdient größten Respekt.
Die im Bericht enthaltenen Empfehlungen (vgl. S. 231ff.) sind für uns eine wichtige Grundlage. Zwei Gesprächstermine mit der Kommission sind bereits vereinbart, um Empfehlungen noch besser zu verstehen und Fragen stellen zu können. Ich verstehe diese Begegnungen als erste Schritte in einem konkreten Prozess der Klärung und Umsetzung notwendiger Maßnahmen.
Ich möchte im Folgenden auf einige Themenfelder eingehen, die im Bericht wiederholt genannt werden:
In meinen bisher sechs Jahren im Bistum Fulda bin ich vielen Priestern begegnet, deren seelsorglicher Einsatz, menschliche Reife und Motivation mich beeindruckt haben. Gemeinsam bedrückt uns, dass durch das Verhalten einiger Kleriker das Vertrauen in unser Wirken erschüttert wurde. Eine pauschale Generalisierung haben die vielen aufrichtigen und engagierten Priester nicht verdient.
Gleichwohl benennt der Bericht gravierende Versäumnisse im Bereich der Priesterausbildung (vgl. S. 112, 136ff.): Es wurden Männer geweiht, die bereits während der Ausbildung oder sogar davor problematische Verhaltensweisen zeigten – obwohl es Warnungen gab. Ich selbst musste während meiner bisherigen Amtszeit in Fulda sechs Priester aus dem Dienst nehmen – zwei wegen sexualisierter Gewalt, vier wegen gravierender Führungsprobleme. Beim Studium der Akten und später auch im unmittelbaren Gespräch mit den ehemaligen Ausbildern fiel mir auf, dass es bei mindestens drei dieser Kleriker im Zeitraum der Ausbildung deutliche Warnungen gab oder sogar eindeutig negative Voten. Dennoch wurden die Kandidaten seinerzeit geweiht – mit fatalen Folgen.
Das rührt an ein Kernproblem: Die menschliche Reife muss unverzichtbare Voraussetzung für die Priesterweihe sein. In einer Kurzformel ausgedrückt: die Fähigkeit, ein realistisches Bild von sich und seinem Gegenüber zu entwickeln und im professionellen Kontext Beziehungen zu gestalten, die sich und seine Gegenüber in eine größere Freiheit führen. Das ist die Grundlage für einen gelingenden priesterlichen Dienst.
Ich habe mich deshalb auf Ebene der Deutschen
Bischofskonferenz intensiv in die Erarbeitung der neuen Grundordnung der
Priesterausbildung eingebracht. Eine zentrale Leitfrage dabei lautet: Welche
Ausbildungselemente fördern Reifeprozesse – und was verhindert sie?
Der Bericht (vgl. S. 221) weist darauf hin, dass sexualisierte Gewalt auch im Zusammenhang mit Macht- und Ohnmachtserfahrungen stehen kann. Solche Dynamiken sind nicht auf die Kirche beschränkt – sie begegnen uns auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Gerade im kirchlichen Dienst erleben viele Mitarbeitende heute aber eine Vielzahl von Herausforderungen – etwa: schrumpfende Gemeinden, Projektabbrüche, Ressourcenknappheit. Diese Entwicklungen können das Gefühl von Ohnmacht verstärken und die psychische Stabilität beeinträchtigen.
Im Priesterrat haben wir vor zwei Wochen intensiv über diese Zusammenhänge gesprochen. Für jeden Menschen ist die Erfahrung von Selbstwirksamkeit zentral. Wenn sie dauerhaft ausbleibt, kann das zu Rückzug, Überforderung oder – im schlimmsten Fall – zu destruktivem Verhalten führen.
Deshalb setzen wir an mehreren Punkten an, um diesen Herausforderungen der Gegenwart – und möglichen Zuspitzungen in der Zukunft – präventiv zu begegnen:
• Verwaltungsleiter in Großpfarreien: Sie entlasten Pfarrer von administrativen Aufgaben und schaffen Raum für seelsorgliche Arbeit. Die flächendeckende Einführung dieser Rolle ist weit fortgeschritten und sollte in absehbarer Zeit abgeschlossen werden.
• Haushaltskonsolidierung: Angesichts sinkender Kirchensteuereinnahmen konzentrieren wir Ressourcen auf zentrale pastorale Aufgaben. Dazu gehört auch die Reduktion des Immobilienbestands, um Verwaltungsaufwand zu verringern.
• Schulungen und Fortbildungen: Leitende Pfarrer benötigen heute umfassende Führungs-, Kommunikations- und Konfliktlösungskompetenzen. Im Rahmen eines modularen Intervallkurses bieten wir entsprechende Schulungen an. Ich selbst habe kürzlich als Gast an einem Modul teilgenommen und den Austausch als sehr wertvoll erlebt.
• Verantwortungsvolle Personalpolitik: Kein Priester wird gegen seinen erklärten Willen oder ohne die nötigen Kompetenzen in eine Leitungsaufgabe gedrängt. Wir fördern teamorientierte Leitungsmodelle, die den pastoralen Anforderungen besser gerecht werden.
• Selbstführung und Selbsteinschätzung: Wer sich den aktuellen Anforderungen nicht mehr gewachsen fühlt, soll Wege finden dürfen, die eigene Lebens- und Berufssituation verantwortungsvoll zu gestalten. Eine vorzeitige Pensionierung kann in solchen Fällen ein Ausdruck von Selbstfürsorge und ehrlicher Einschätzung sein – und verdient unseren Respekt.
Diese Maßnahmen sind nicht in erster Linie eine Reaktion auf
Versäumnisse der Vergangenheit, sondern vor allem Ausdruck unserer
Verantwortung im Heute. Sie sind Antworten auf konkrete Herausforderungen, die
viele Mitarbeitende aktuell erleben – und sie sind ein präventiver Beitrag für
die Zukunft. Denn wer Strukturen schafft, die Überforderung reduzieren und
Selbstwirksamkeit ermöglichen, schützt auch vor dem Missbrauch von Macht.
Der Bericht schildert auch das Leiden einer Frau, die als Kind und
dann später nochmal als Erwachsene durch einen Seelsorger missbraucht wurde,
dem sie sich anvertraute (vgl. S. 58–63). Auch diese Perspektive braucht unsere
volle Aufmerksamkeit. Wer seelsorglich tätig ist, muss über eine reflektierte
Selbstwahrnehmung verfügen – und bereit sein, Verantwortung abzugeben, wenn
Grenzen überschritten werden. Das ist heute verbindlicher Bestandteil der
Ausbildung.
Die Kommission betont, wie wichtig es ist, dass sich auch Gemeinden ihrer Geschichte stellen (vgl. S. 112). Ich teile diese Einschätzung. Ich weiß, wie schwer das ist – aber es ist notwendig.
Ich möchte dazu eine persönliche Erfahrung teilen: Während meiner Studienzeit habe ich von einem Priester eines anderen Bistums immer wieder auf Tagungen sehr wertvolle Impulse erhalten. Gemeinsam mit anderen Priesterkandidaten dachten wir: So wollen wir auch mal werden. Sympathisch und einfühlsam, sodass die Menschen sich uns als Seelsorger anvertrauen. Ich sah in diesem Priester ein wichtiges Vorbild. Einige Jahre später habe ich erfahren, dass er Täter sexualisierter Gewalt war. Das hat mich tief erschüttert. Ich war damit konfrontiert, zuzulassen, dass hinter meiner Wahrnehmung eine ganz andere Realität stand. Das hat mir gezeigt, wie schwer es ist, die eigene Geschichte neu zu deuten – und wie notwendig es ist, sich dieser Herausforderung zu stellen.
Sich dieser Herausforderung zu stellen, die Interpretation der eigenen Geschichte kritisch zu korrigieren, kostet Kraft: Ein Vorgang, der vielen Gemeindemitgliedern, in deren Pfarrei es durch einen Kleriker sexualisierte Gewalt gab, nicht erspart bleiben wird. Mit der Episode aus meinem eigenen Leben will ich deutlich machen: Das ist ein Vorgang, bei dem es längst nicht nur um das Zur-Kenntnis-Nehmen von Fakten geht, sondern um die existenzielle Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie – gerade auch dort, wo ich selbst nicht unmittelbar Betroffener bin.
Ich bin überzeugt: Hier reicht ein einfacher Appell an die Gemeinden, sich dieser Form von Aufarbeitung zu stellen, nicht aus. Wir müssen klären, wie dieser Prozess der Auseinandersetzung professionell begleitet und unterstützt werden kann.
Vor allem wollen und müssen wir die Menschen schützen, die uns
vertrauen, die uns anvertraut sind – insbesondere die Schwachen und
Schutzlosen. Das ist ein christlicher Kernauftrag. Wenn wir diesen Auftrag
erfüllen, können wir auch Vertrauen zurückgewinnen – und damit auch der
Institution Kirche einen Dienst tun und sie zukunftsfähig halten.
Der Bericht benennt Klerikalismus und eine problematische Führungskultur als zentrale systemische Ursachen für sexualisierte Gewalt und deren Vertuschung (vgl. S. 134, 200f.). Klerikalismus meint eine Haltung, in der geistliche Autorität über menschliche Verantwortung gestellt wird – mit der Folge, dass Macht nicht kontrolliert, sondern geschützt wird. Diese Strukturen haben Missbrauch nicht nur ermöglicht, sondern auch seine Aufarbeitung behindert.
Ich sehe es als meine persönliche Verantwortung, diese Strukturen zu
hinterfragen und zu verändern. Das betrifft auch unsere Sprache, unsere
Entscheidungswege und unser Selbstverständnis als Kirche. Ein erster Schritt
wird sein, dass wir uns als Bistumsleitung noch vor der Sommerpause mit der
Kommission zusammensetzen, um die Empfehlungen im Detail zu besprechen und zu
verstehen.
Der Bericht fragt nicht nur, was geschehen ist, sondern auch, welche Strukturen dieses Geschehen ermöglicht oder begünstigt haben (vgl. S. 134). Dazu gehören insbesondere der Klerikalismus, eine unzureichende Fehlerkultur und eine Führungspraxis, die zu oft auf Machterhalt statt auf Verantwortung ausgerichtet war. Diese Strukturen müssen wir erkennen, benennen und verändern – als Bistum, als Leitung, und ich ganz persönlich als Bischof.
Ich danke der Kommission, allen Mitwirkenden – und vor allem den Betroffenen – für ihre Geduld, ihre Klarheit und ihren Mut. Gemeinsam arbeiten wir daran, dass das Bistum Fulda ein sicherer Ort ist – ein Ort, an dem wir alles dafür tun, Missbrauch zu verhindern und Verantwortung zu übernehmen. Wir gehen diesen Weg weiter – dauerhaft, ernsthaft und entschlossen.
Rund um die Veröffentlichung des Abschlussberichts hat das Bistum Fulda eine Hotline eingerichtet. Sie ist vom Dienstag, 17. Juni bis einschließlich Mittwoch, 2. Juli 2025 montags bis donnerstags von 8:00 bis 16:00 Uhr sowie freitags von 8:00 bis 12:00 Uhr erreichbar. An Wochenenden und Feiertagen ist die Hotline nicht besetzt. Die Nummer lautet: 0661 / 87-888.
Darüber hinaus stehen weitere Kontaktmöglichkeiten zur Verfügung:
· E-Mail:hinsehen-handeln@bistum-fulda.de
· Weitere Informationen: www.hinsehen-handeln-bistum-fulda.de
· Informationen zur Unabhängigen Kommission: www.nur-mit-mut.de
Im Bistum Fulda gibt es eine unabhängige Ansprechperson, die in keinem Dienstverhältnis zur Diözese steht. Zudem ist eine Interventionsbeauftragte benannt, die Hinweise entgegennimmt und Verfahren koordiniert. Präventionsbeauftragte entwickeln Schutzkonzepte und führen Schulungen durch.
Pressestelle Bistum Fulda
36001 Fulda / Postfach 11 53
Telefon: 0661 / 87-355 / Telefax: 87-568
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