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20. März 2017

Predigt zum 3. Fastensonntag

Von Bischof Heinz Josef Algermissen

Vor gut 50 Jahren wurde in Südfrankreich eine Kirche gebaut. Als sie fertiggestellt war, gab es große Aufregung. Der Anlass war das mächtige Bild an der Stirnseite der Kirche. Der Künstler Henri Mattisse hatte – nach Motiven aus der Geheimen Offenbarung – den Thron Gottes gemalt. Und auf dem Thron eine Gestalt ohne Gesicht. Anstelle des Gesichts hatte er einen weißen Raum gelassen. 

 

Als Mose Gott bat: „Lass mich doch deine Herrlichkeit schauen“, war da eine Vorgeschichte.


In der Zeit des Wüstenzugs Israels wird der Zweifel laut, ob dies eigentlich noch ein Weg, ein Leben und Kämpfen unter Gottes Führung sei, oder ob Gott nicht vielmehr das Volk schon längst verlassen habe. In dieser Krise, kurz nach der Anbetung des Goldenen Kalbes, steigt Mose ins Gebirge hoch, um mit Gott Kontakt zu finden. Und als er ihn findet, bettelt er: „Lass mich doch deine Herrlichkeit schauen“ (Ex 33,18). Darauf erhält er zur Antwort: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (Ex 33,20). 

 

Die Aussagen der Bibel sind eindeutig: „Kein Mensch hat Gott je gesehen“ (Joh 1,18), kein Mensch kann in das Gesicht Gottes schauen. Deshalb dürfen wir uns kein Bild von ihm machen. Alle Versuche christlicher Kunst im Laufe der verschiedenen Epochen, Gott darzustellen, verstoßen im Grunde gegen die Bibel, gegen das zweite der Zehn Gebote. Diese Verstöße haben sich denn auch bitter gerächt: Viele schlagen sich heute noch mit Projektionen herum, die von Bildern stammen, die wir aus Kindertagen in unseren Seelen gespeichert haben und die häufig genug unsere Gottesvorstellung belasten. Solcherart Bilder haben mitunter sogar zu einer „Gottesvergiftung“ geführt, wie es der Frankfurter Psychoanalytiker Tilmann Moser in seinem so titulierten Buch (1976) zur Sprache brachte. 

 

Aber, seien wir ehrlich, alle diese Versuche machen auf der anderen Seite doch auch eines deutlich: Wir Menschen haben ein tiefes natürliches Verlangen, jemanden, mit dem wir es zu tun haben, auch zu sehen.

 

Diese Erfahrung machen wir täglich: Wir möchten wissen, wie der aussieht, mit dem wir am Telefon sprechen, den wir aber noch nicht gesehen haben. So sagen wir am Schluss eines Gesprächs mitunter: „Ich freue mich, Sie demnächst näher kennenzulernen und zu sehen.“ Wir möchten eben einen Menschen, der uns interessiert, auch vor Augen haben. Vor allem eben sein Gesicht möchten wir sehen, weil wir da am deutlichsten ablesen können, wer der ist, der da mit uns spricht.


Hat Gott dafür kein Verständnis? 

 

„Lass mich dein Angesicht doch schauen“, so hat Mose damals ge­bettelt. So betteln wir heute: „Zeig uns dein Gesicht, zeig uns deine Wege“, beten die Verfasser der Psalmen immer wieder. „O Heiland, reiß die Himmel auf!“, diese Bitte kommt aus derselben Not: Öffne deinen verschlossenen Himmel, zeig uns wenigstens für den Bruchteil einer Sekunde, dass du da bist! „Lass dein Angesicht leuchten, dann ist uns geholfen“, so heißt es mehrmals – einem roten Faden gleich – im Psalm 80.

 

Gott weiß sicher um dieses urmenschliche Verlangen. Er erfüllt den Wunsch des Menschen auch. Allerdings auf eine seltsame Weise, wie unsere Lesung zeigt: Er nimmt den Mose bei der Hand und stellt ihn in die Höhlung eines Felsens. Er hält seine Hand schützend über ihn. Dann geht Gott vorüber – und im Vorübergehen, sozusagen im Nachhinein, weiß Mose, dass es der Herr ist, der da an ihm vorübergeht.

 

Warum macht Gott das so? Sicher weil er weiß, dass wir dieses Schutzes bedürfen, dass seine unverhüllte Gegenwart uns versengen würde. „Wenn ich dann meine Hand wegnehme, darfst du mir nachschauen. Du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht aber kann niemand sehen“ (Ex 33,23).

 

Könnte es sein, dass auch wir Gott nicht anders erfahren als im Vorübergehen? Dass wir immer erst nachher wissen – sozusagen in deutender Rückschau –, was dahintersteckte. Und die entscheidende Frage: Was wäre dann aber die uns zugängliche Seite Gottes? Oder noch anders: Wie geht Gott an uns vorüber?

 

Mir scheint, mitunter haben wir bei all unseren spekulativen theologischen Gedankengebäuden, bei aller Abstraktion und Theoretisierung die Konsequenz der Inkarnation vergessen, dass Gott uns wirklich nahegerückt ist, leiblich, sozusagen hautnah.

 

Wir haben in unserem Leben kein anderes Bild von Gott als den Menschen. Durch Gottes Grenzüberschreitung hinein in die Hilflosigkeit und Ohnmacht des menschlichen Lebens sind ihm unsere Freude und Angst, unser Lachen und unsere Tränen bekannt. Das lässt uns alles in einem anderen Licht sehen, schenkt uns einen neuen Horizont. Es ist der große Durchbruch des christlichen Glaubens.


Wenn wir daher Gottes Antlitz suchen, so ist es mittelbar sehr wohl zu finden: Im Menschen, den Gott als sein Abbild in diese Welt gestellt hat. Also im Menschen geht uns Menschen Gott auf. Diese Wahrheit hat der Hl. Papst Johannes Paul II. in seiner Fundamentalenzyklika „Redemptor Hominis“ (1979) so zur Sprache gebracht: „Der Mensch ist der Weg Gottes, auch der Weg der Kirche.“

 

Sind wir uns dessen als Kirche wirklich bewusst? Schauen wir diese Wahrheit mit, wenn wir in   menschliche Gesichter schauen? In all die hilflosen, kranken, gequälten und entstellten Gesichter, in die schönen und in die satten Gesichter, in die überheblichen und demütigen, in die jungen und alten, in die unfertigen und abgeklärten Gesichter.

 

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!


Keiner hat die Menschen, die ihm begegneten, so ernst genommen wie Jesus Christus. Keiner hat sich den hilflosen und leidenden, aber auch den satten pharisäischen Gesichtern so zugewandt wie er, der ja „wusste, was im Menschen war“ (Joh 2,25).

 

Erklärt vielleicht gerade die Aufmerksamkeit Jesu für die Gesichter der Menschen, dass diese Menschen ihrerseits auch im Angesicht Jesu die Herrlichkeit Gottes aufleuchten sahen? „Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi“ (2 Kor 4,6).


Alles hängt davon ab, dass Jesus uns den verborgenen Gott offenbart und dass wir zu der entscheidenden Einsicht im Evangelium dieses dritten Fastensonntags kommen: „Er ist wirklich der Retter der Welt“ (Joh 4,42).


Jesus Christus – das menschliche Antlitz Gottes! Das war auch das große Thema der ersten Enzyklika von Papst Benedikt XVI. „Deus caritas est“ aus dem Jahr 2006. Dazu erklärte der Papst, dass Dantes „Göttliche Komödie“ ihn zu dieser Enzyklika inspiriert habe. Dort begegnet uns im innersten Licht des Paradieses schließlich nicht etwa ein noch gleißenderes Leuchten, sondern das zarte Gesicht eines Menschen: das Antlitz Jesu Christi. Dass Gott „ein menschliches Gesicht“ besitzt, sei der alles bewegende Höhepunkt dieses „kosmischen Ausflugs“, so der Hl. Vater. 

 

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben!


Können wir, indem wir uns um die Schicksale und Gesichter der Menschen sorgen und in ihren Antlitzen Gottes Ebenbild entdecken, selber auch zum Abbild und Widerschein der Herrlichkeit Gottes in unserer Welt werden?


Der Apostel Paulus ist jedenfalls davon überzeugt. Und das ist wohl die christliche Antwort auf die Frage nach dem Gesicht Gottes: „Wir alle aber, die wir mit unverhülltem Gesicht die Herrlichkeit des Herrn widerspiegeln, werden in dasselbe Bild verwandelt – durch den Geist des Herrn – und bekommen Anteil an Gottes Herrlichkeit“ (2 Kor 3,18).


In der Tat, es ist gut zu wissen: Jedes menschliche Gesicht spiegelt Gottes Herrlichkeit wider, jedes! Das ist eine wunderbare und frohmachende Botschaft, aber auch eine mit Konsequenz, die wir alle erst noch lernen müssen!


Gott ist ein Freund des menschlichen Lebens. Er will das Beste für uns. Indes arbeitet der Mensch mitunter heftig daran, dieses Leben zu zerstören. Ein wahrhaft leidenschaftliches Interesse an der vorzeitigen Auslöschung und Zerstörung des irdischen Lebens von Gottes Ebenbildern hat allein der Teufel. Das klar zu durchschauen, ist eine wesentliche Aufgabe dieser österlichen Bußzeit. Amen.


 

 

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